Im Interview erzählt unsere Illustratorin und Grafikerin Anja Schorneck, wie sie zum professionellen Zeichnen fand. Sie gibt Einblick in den Arbeitsprozess, spricht von ihrem Umgang mit kreativen Blockaden und verrät, welche Feedbacks sie am meisten rührten.
Hey Anja, wie bist du Illustratorin geworden?
Ich habe schon immer gern gezeichnet. Als Kind kopierte ich ganze Tierenzyklopädien und Comics Seite für Seite. Nach der Maturität in Bildnerischem Gestalten nahm mein Interesse für Tiere überhand und ich begann, Veterinärmedizin zu studieren. Nur um festzustellen, dass ich während der Vorlesungen so viel zeichnete, dass ich das Studium abbrach und in den Gestalterischen Vorkurs wechselte.
Anschliessend hast du dann Grafikerin gelernt?
Ja genau, mit der 4-jährigen Lehre zur Grafikerin EFZ eignete ich mir das Know-how an, das es braucht, um Illustrationen weiterzuverarbeiten. Mir war wichtig, dieses Handwerk auch selbst zu beherrschen. Nebenbei absolvierte ich verschiedene zeichnerische Zusatzausbildungen. Trotzdem bin ich mindestens teilweise Autodidaktin, denn beim Illustrieren ist die Erfahrung entscheidend. Ich habe einfach sehr, sehr viel gezeichnet und mich mit allen möglichen Formen vertraut gemacht.
Mittlerweile ist das Zeichnen fester Bestandteil deines Berufsalltags?
Absolut. Bei Latviaplan bin ich zu einem 50%-Pensum angestellt, wo ich mich jeweils sehr auf das unglaublich tolle Team und den Austausch freue. Daneben bin ich stets dabei, meine Selbständigkeit auszubauen, wo das Zeichnen ebenso im Fokus steht. Ich biete personalisierte oder wissenschaftliche Illustrationen an, bin in den Bereichen Game- und Filmdesign tätig und gebe den Comic «Stupsi» heraus. Seit Neustem gilt meine Leidenschaft dem Tätowieren, wo ich erste Erfahrungen im permanenten Übertragen individueller Illustrationen auf die Haut sammle. All diese Projekte laufen unter dem Namen meiner Einzelfirma Frozen Fingers.
Inwiefern ergänzen sich Illustration und Design?
Ich bin davon überzeugt, dass illustrative Bilder ein unverzichtbarer Bestandteil von Grafikdesign sind. Sie wirken blitzschnell und werden universell und sprachübergreifend verstanden. Anwendung finden Illustrationen in ihren unterschiedlichen Ausgestaltungen in praktisch jedem Bereich der visuellen Gestaltung. Ihr Potenzial ist nahezu grenzenlos. Sie können etwa die Funktion von Informationsstützen übernehmen und dadurch beim Verständnis komplexer Texte helfen. Sie können aber auch die Gefühlsstimmungen einer Reportage untermalen oder als Bestandteil einer Gebrauchsanweisung technische Instruktionen geben, um nur einige Beispiele zu nennen.
Hast du nach all den Jahren des Zeichnens einen eigenen Stil entwickelt?
Nun, das hängt sehr von den Umständen ab. Diese Frage würde ich am ehesten mit ja beantworten, wenn ich an einem eigenen Werk arbeite. Dann nämlich bin ich mehr Künstlerin als Illustratorin, obschon ich eigentlich immer beides bin. Wenn ich hingegen an einem Kundenauftrag arbeite, rückt meine persönliche Handschrift deutlich in den Hintergrund. Respektive ist es dann sogar so, dass ich auf eine breite Palette an Stilen zurückgreifen kann. Mit meiner Persönlichkeitsentwicklung ging auch immer eine Stilentwicklung einher. Auf diese Weise machte ich mir über die Jahre ein breites Spektrum zu eigen. Noch heute nutze ich jede Gelegenheit, um Neues zu lernen. Schliesslich ist mir wichtig, dass ich formal flexibel bin und möglichst präzise auf individuelle Wünsche und Vorstellungen eingehen kann.
Einige Illustrationen von Anja.
Neben dem Stil ist bestimmt auch die Technik entscheidend.
Die Technik ist ein wesentlicher Faktor beim Illustrieren. Vor allem und am liebsten arbeite ich mit klaren Linien und Schraffuren, allenfalls noch mit einer Kolorierung. Auch Papiere spielen eine gewichtige Rolle. Ich mag deren Haptik und allgemein schöne Materialien und die handwerklichen Aspekte, die mit dem Illustrieren verbunden sind. Mittlerweile arbeite ich allerdings immer öfter digital. Am Anfang war das Zeichnen auf einem Display zwar gewöhnungsbedürftig, aber oft überwiegen die Vorteile des digitalen Zeichnens letztendlich doch. Denn es entfällt der Arbeitsschritt des Digitalisierens, der immer auch mit einem Qualitätsverlust einhergeht. Kommt hinzu, dass nachträgliche Korrekturen oder das Ändern von Farben ohne weiteres möglich sind.
Nimm uns doch bitte in einen typischen Projektablauf mit.
Zunächst geht es darum, in einem persönlichen Gespräch herauszufinden, was genau die Illustration bei welcher Zielgruppe bewirken soll. Dabei versuche ich, möglichst viele individuelle Details zusammenzutragen und dem Kunden auf den Zahn zu fühlen, was er oder sie sich vom Endprodukt erhofft. Oft helfen mir zudem die ersten 10–15 Stichworte, die dem Auftraggebenden in den Sinn kommen, um mir ein erstes Bild vom Projekt zu machen und langsam ein Konzept herauszuschälen. Bevor die eigentliche Arbeit beginnt, sind ausserdem Budgetfragen, der Zeitplan und eventuell vorhandene Gestaltungsgrundlagen zu klären.
Welche Projektphasen folgen dann?
Für gewöhnlich lässt sich ein Auftrag in drei Phasen unterteilen: Die Recherchephase, die Entwurfsphase und die Reinzeichnung. Bei der Recherche geht es darum, Inspirationsquellen zu suchen und Referenzen zusammenzutragen. Um richtig einzutauchen, fertige ich erste Handskizzen an. In dieser Phase kommen die Ideen oft unerwartet, etwa beim Wandern oder Kochen.
Die Entwurfsphase empfinde ich als die anstrengendste, da diese über Stil, Umfang, Aufbau und Inhalt der Illustrationen entscheidet. Das erfordert meine volle Konzentration. In der Regel lasse ich dem Kunden 2–4 Entwürfe zukommen, um Feedback einzuholen. So weiss ich, in welche Richtung sich das Projekt entwickeln soll und kann eine Linie verfolgen, die sehr individuell auf den Kunden zugeschnitten ist.
In der letzten Phase, der Reinzeichnung, entsteht aus der Entwurfsskizze eine sauber ausgearbeitete Illustration in einem bestimmten Stil. Die persönliche Note und die handwerklichen oder künstlerischen Eigenschaften einer solchen Illustration erachte ich als sehr wertvoll. Es mag zwar sein, dass es in Zukunft immer schwieriger wird, diese Qualitäten gegenüber KI-generierten Bildern zu verteidigen, aber ich glaube nicht, dass echte Handzeichnungen jemals ganz ersetzt werden können.
Bist du hin und wieder mit kreativen Blockaden konfrontiert?
Ich denke, jede kreativ arbeitende Person kennt diese Blockaden nur zu gut. Sie sind extrem lähmend und frustrierend. Man arbeitet stundenlang – ohne nennenswertes Ergebnis. Kein Arbeit- oder Auftraggeber zahlt einen dafür. Für mich sind diese Blockaden sehr herausfordernd, aber mittlerweile kann ich relativ locker damit umgehen, ohne krankhaft zu versuchen, auf gute Ideen zu kommen. Ich habe mir Atemtechniken und andere körperliche Übungen antrainiert, um aus der akuten Panik herauszufinden. Trotzdem ist es manchmal besser, das Projekt liegen zu lassen – auch gedanklich – und sich mit etwas anderem zu beschäftigen, bis man sich wieder in der Lage fühlt, weiterzuarbeiten.
Würdest du zum Abschluss noch dein Lieblingsprojekt mit uns teilen?
Ein bestimmtes Lieblingsprojekt habe ich nicht. Aber am meisten mag ich personalisierte Illustrationen, also Projekte, wo ich sehr individuelle Details einarbeiten kann. Zum Beispiel hat mich eine Kundin gebeten, von ihrem Mann und seinem kürzlich verstorbenen Hund einen Mini-Comic zu zeichnen. Das Ergebnis hat sie so überwältigt, dass ich wusste, ihre Wünsche gut umgesetzt zu haben. Das ist die schönste Art von Feedback. Es ist ein tolles Gefühl, wenn ich merke, dass jemand von meiner Arbeit gerührt ist und noch lange Freude daran haben wird.
September 2024